Interview mit Dr. Ing. Thomas Fleissner zum Thema Nachhaltigkeit und deren Bedeutung für das Markenmanagement

Dr. Ing. Thomas Fleissner, Gründer und Geschäftsführer der DFGE – Institut für Energie, Ökologie und Ökonomie

Dr. Thomas Fleissner beschäftigt sich bereits seit dem Studium und seiner Promotion mit dem Thema Nachhaltigkeit. Er ist Pionier in der Messung des ökologischen Fußabdrucks (Carbon Footprint) von Unternehmen. Sein Institut berät u.a. DAX-Konzerne aber auch Mittelständler im CSR (Corporate Social Responsibility)-Management. Vom Berechnungs-Management, Reporting-Lösungen bis hin zur Strategie-Entwicklung. Neu ist das Angebot einer software-gestützten Sustainability Intelligence Plattform, die Unternehmen bei der digitalen Orchestrierung ihrer CSR-Aktivitäten unterstützt.

Aus meiner Sicht ein sehr interessanter Gesprächspartner, um seine Insights mit dem Thema Marke und Markenführung zu verknüpfen.

Es gibt viele verschiedene Definitionen und Interpretationen von Nachhaltigkeit. Wie würdest Du den Begriff „Nachhaltigkeit“ definieren?

Nachhaltigkeit und Markenmanagement ESG Kriterien
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an A. Schindler: Nachhaltige Kapitalanlagen-Chancen richtig nutzen; Frankfurt a.M., 2018, S. 20

Ich habe einen ganzheitlichen Blick auf das Thema und beziehe mich gern auf das 3-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit: ESG – Environment, Social, Governance. Für mich persönlich ist die erste Säule besonders relevant  – aber Nachhaltigkeit lebt von allen 3 Säulen gleichermaßen. Die DFGE kommt stark aus dem Triple „Ecology, Ecomomy, Energy“ und der Frage, wie man Ökologie, Energie und Betriebswirtschaft miteinander verbinden kann.

Was ist Markenkern und USP deiner Firma?

Ich komme von der wissenschaftlichen Seite und vertrete diesen Ansatz auch in der Praxis, daher ist unsere Firma sehr geprägt von Zahlen, Daten, Fakten. Wir konzentrieren uns auf Inhalte und belastbares Datenmaterial. Greenwashing gibt es nicht mit uns und auch keine Gaps, im Sinne von Emissions-Feldern, die wir uns bewusst nicht anschauen. Wir wollen die sog. „Hot Spots“ erwischen, also Bereiche, die die Ergebnisse maßgeblich beeinflussen, bspw. bei der Ermittlung des Carbon Footprint. Denn hier kann der Kunde ansetzen, um größere Mengen an CO2-Emissionen einzusparen.
Transparenz und Ehrlichkeit dem Kunden gegenüber sind uns wichtig. Letztlich ist es eine Zusammenarbeit mit dem Kunden. Wir arbeiten mit den Daten des Kunden und der Kunde mit unseren Ergebnissen. Der Kunde soll verstehen, was wir beim Thema Carbon Footprint erheben, er entscheidet, was er mit den Ergebnissen macht, z.B. an welchen Stellschrauben er erste Veränderungen vornimmt – und wie er kommuniziert. 

Was ist also Euer USP?

Aus meiner Sicht das Zusammenspiel aus wissenschaftlichem Ansatz und Erfahrung sowie unsere Werte und Leidenschaft fürs Thema.

Seit 25 Jahren haben wir zahlreichen zufriedenen Kunden zu mehr Nachhaltigkeit verholfen. Diese Erfahrung, unsere enge Kooperation mit Institutionen wie GRI (Global Reporting Initiative), CDP (Carbon Disclosure Project) etc. und unser profundes Knowhow können all die Start-Ups, die jetzt auf dem Markt auftauchen, nicht vorweisen. Wir sind echte Überzeugungstäter, von Anfang an. Bei uns steht nicht der Profit im Vordergrund, sondern die Kunden langfristig in eine grünere Zukunft zu begleiten. 

Was heißt für Dich „Nachhaltige Markenführung“?

Für mich heißt das ganz übergreifend, dass Marken auf jeden Fall nachhaltig werden müssen, um zukunftsfähig zu bleiben.

Kannst Du mir ein zwei Best Practice Beispiele nennen für Grüne Marken?
Da müsste ich erst tiefer in die Analyse einsteigen…
😉

Nachhaltigkeit und Markenmanagement - Ecovadis

Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass Firmen sich auf den Weg machen, zu mehr Nachhaltigkeit. Das ist ein längerer Prozess. Carglass bspw., einem unserer Kunden war ein gutes Abschneiden bei dem CSR-Rating Ecovadis wichtig. Hier sehen wir eine positive Entwicklung hin zur aktuellen Punktzahl von 69/100 sowie einer Ecovadis-Goldmedaille. 

Das bedeutet, dass Carglass zu den besten 5% der Unternehmen gehört.
Aus meiner Sicht sind 80% -90% der Unternehmen, die behaupten nachhaltig zu sein, nicht nachhaltig im ganzheitlichen Sinn. Sie sind nachhaltig in einzelnen Punkten, aber nicht im Zusammenspiel. Es gibt also viel Luft nach oben.

Welche Negativbeispiele fallen Dir ein?

Es gibt eine Menge negativer Beispiele. Aber ich will hier keine Medienberichte wiederholen. Wenn zum Beispiel ein Unternehmen hinter dem Haus ein Biotop anlegt und gleichzeitig seine Produkte ohne Überprüfung der Supply Chain und den Bedingungen für Mensch und Umwelt in China produzieren lässt. Sich aber als überaus nachhaltig, vielleicht noch mit einem klimaneutralen Produkt positioniert. Oder ein Unternehmen, das Bäume auf dem Firmenparkplatz pflanzt, aber seine Firmenwagenpolicy nicht generell infrage stellt.

Gibt es aus Deiner Sicht generelle Grundätze für die grüne Markenführung?

Ich sehe Ehrlichkeit, Transparenz und Stakeholder-Involvement als generell wichtig für die Markenführung an.
Hinter Markenpositionierung und Kommunikation müssen echte Ansätze und Leistungsbeweise für Nachhaltigkeit stehen. Es gilt auch offen damit umzugehen, wo Veränderungsbedarf in Sachen Nachhaltigkeit besteht. Stakeholderinvolvement halte ich ebenfalls für sehr wichtig. Eine Marke sollte sich aktiv mit den unterschiedlichen Stakeholdern auseinandersetzen, sei es der örtliche Fahrradclub, die eigenen Mitarbeiter oder die allgemein interessierte Öffentlichkeit. Gerade aus einem kritischen Austausch lassen sich gute Impulse für eine nachhaltigere Entwicklung generieren.

Wie stark soll oder darf eine Marke in die Kommunikation in Sachen Nachhaltigkeit gehen? Wann ist eine Kommunikation für Dich glaubwürdig?

Ich erlebe ab und zu Kommunikationsverantwortliche, die null Ahnung von Nachhaltigkeit haben, aber über das Thema kommunizieren sollen. Das funktioniert nicht. Hier gilt es meines Erachtens Kompetenz aufzubauen. Aber auch einen Informationspool zum Thema, auf den die Kommunikatoren zugreifen können.
Generell gilt auch für die Markenkommunikation zu diesem Thema: Fakten, Ehrlichkeit und Transparenz sind wichtig. Nur echte Fortschritte, eine tatsächlich erfolgreiche Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit, sollten kommuniziert werden.


Ich nehme häufig wahr, dass CSR und das Markenmanagement als zwei getrennte Bereiche zu wenig miteinander kommunizieren. Dabei könnten die Markenverantwortlichen das Thema pushen und viel stärker vorantreiben. Und vice versa könnte CSR dem Markenmanagement Steilvorlagen für die Anreicherung der Markenführung, Werte, Positionierung und Kommunikation liefern. Wie siehst Du das?

Ja, ich nehme auch häufig Silos wahr. Nicht nur bei Markenmanagement und CSR sondern auch in vielen anderen Bereichen, wie Sales, Operations etc. Hier wird dann schlecht bis gar nicht zusammengearbeitet.
Wenn ein Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit vorangehen möchte, gilt es aber eine ganzheitliche integrale Sicht aufzubauen. Kompetenz und Zuständigkeitsinseln gilt es unbedingt zu vermeiden! Bei einem unserer Kunden gab es bspw. einen zentralen Ansprechpartner für das Thema Energiemanagement. Alles, was damit zu tun hat, musste über seinen Tisch gehen. Hier haben wir regelmäßig die Geschäftsführung eingebunden, weil fehlende Daten nicht geliefert wurden oder der Prozess sich verzögert hat.

Welche Rolle spielt der Kompetenzaufbau im Markenmanagement. Was sind Deiner Ansicht nach die Top 4 Schlüsselkompetenzen, die auch ein Markenmanager beim Thema Nachhaltigkeit aufbauen muss?

Idealerweise macht jemand im Markenmanagement eine Zertifizierung, um zu diesem Thema strategisch agieren und kommunizieren zu können.

Was auf jeden Fall wichtig ist:

  • Ein Verständnis für Zusammenhänge und die Bedeutung der verschiedenen Stakeholder für das Thema. 
  • ESG Kenntnisse 
  • Aktuelle und kommende Richtlinien und Gesetze spielen eine zunehmend wichtige Rolle im Nachhaltigkeitsmanagement und für die Unternehmenskommunikation. Diese sollten auch im Markenmanagement bekannt sein. Beispielsweise die EU-Taxonomie, CSRD, TCFD (Task Force on Climate-related Financial Disclosures)
    Anmerkung KK: TCFD ist nicht nur ein weiteres Rahmenwerk für die Berichterstattung. TCFD konzentriert sich auf die Auswirkungen des Klimawandels für Unternehmen und die daraus resultierenden finanziellen Risiken, ist also zukunftsgerichtet. Insbesondere Finanzmärkte/Finanzakteure achten auf TCFD im Rahmen der Bewertung von Unternehmen. 
  • Die wichtigsten Standards und „Fragebögen“ (Ecovadis, CDP etc.) und deren Bedeutung für die Kommunikation (intern wie extern) kennen.
    Anmerkung KK: Diese Standards helfen, bspw. Auswirkungen von Unternehmen auf den Klimawandel zu verstehen.

Nach einer internationalen Studie der Allianz ist Verlust der Markenreputation unter den Top 10 Risiken für Unternehmen. Wie hoch schätzt Du hier den Einfluss des Themas Nachhaltigkeit ein?

Da CSR alle Bereiche des unternehmerischen Handelns erfasst: großer Einfluss.

Wie nimmst Du den Bedeutungszuwachs des Themas wahr? Sind Menschen bereit für nachhaltige Produkte mehr zu bezahlen?

Ich nehme einen enormen Zuwachs wahr und auch eine deutlich gesteigerte Zahlungsbereitschaft. 

Wenn ich allein auf unser Business schaue. Vor 2-3 Jahren gab es 4 Unternehmen im direkten Wettbewerbsumfeld. Jetzt sind es 20-30, viele davon Start-Ups aber auch die großen Unternehmensberatungen wie BCG widmen sich diesen Themen.

Es wird ja überall von Fachkräftemangel gesprochen. Mit Eurem Tätigkeitsspektrum habt ihr bestimmt weniger Probleme neue Mitarbeiter zu bekommen, oder?

Ja, gerade auch junge Menschen wollen eine sinnvolle Tätigkeit machen. Wir bekommen tatsächlich viele Bewerbungen auf den Tisch. Aber nicht die Quantität allein zählt, sondern die Qualität. Und hier ist es auch für uns schwierig, qualifizierte Fachkräfte zu bekommen. Sei es solche mit beruflicher Erfahrung als Nachhaltigkeitsmanager oder solche mit einem auf Nachhaltigkeit orientierten Studiengang. Der Markt ist zurzeit noch sehr begrenzt.

Das Thema CO2-Neutralität ist ein wichtiger Faktor für mehr Nachhaltigkeit in Unternehmen. Du hast Pionierarbeit im Bereich CO2-Erfassung geleistet, mit dem Ziel diese zu reduzieren und unterstützt seit Jahren erfolgreich Unternehmen in diesem Bereich. Welches sind aus Deiner Sicht die größten Herausforderungen für Unternehmen?

Eine strukturierte Vorgehensweise zu entwickeln. Sich klar zu werden, wo die Reise hingehen soll. Will ich als Unternehmen bspw. alle Emissionen runterfahren? Wenn ja, wie packe ich das am besten an? Eine weitere Herausforderung ist das Aufbauen von Erfahrung im eigenen Unternehmen. Hier helfen natürlich externe Begleiter wie die DFGE.
Und die Fokussierung auf die wichtigen Dinge. Die wichtigsten Hebel zu identifizieren, die schnell etwas bewirken. Hieraus lässt sich dann ein Schwerpunkt-Thema ermitteln, bspw. die Lieferketten-Thematik im produzierenden Gewerbe oder Handel. Stichwort Primark und Arbeitsbedingungen in Bangladesch. Oder der Energieverbrauch in der Autoindustrie. Dieses sollte dann konsequent über einen geeigneten Zeitraum im gesamten Unternehmen TOP-Down angegangen werden.

Welche Rolle spielen kleine Maßnahmen wie das zur Verfügung stellen von Rädern statt Autos?

Nach innen kann das ein wichtiges Signal sein und anspornen.
Nach Außen hängt das vom Unternehmen ab:
Im produzierendes Gewerbe: Hier sehe ich eine ausschließliche Wirkung auf die Stakeholder-Kommunikation. Die aber eventuell als Greenwashing interpretiert wird.
Bei Dienstleister, wie Beratungen ist das unter Umständen sogar ein großer Hebel. Hier geht es dann aber eher um die generelle Mobilitätsstrategie.

Was rätst Du Markenverantwortlichen im Umgang mit dem Thema?

Marke und Nachhaltigkeit sind untrennbar miteinander verbunden; eine Marke wird dann zur Marke, wenn sie nachhaltig und zukunftsorientiert ist

Vielen Dank, Thomas für das sehr interessante Interview!

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Fazit

Aus meiner Sicht ist die wichtigste Botschaft, dass sich Unternehmen auf den Weg in Richtung Nachhaltigkeit machen sollten, um zukunftsfähig zu sein. Dies unterstreicht auch Larry Fink, der Chef von Blackrock, des weltweit größten Vermögensverwalters (Verwaltung von ca. 10 Bio. US Dollar) in seinen jährlichen Briefen an die CEOs. Für Investoren ist Nachhaltigkeit unter Risikogesichtspunkten besonders wichtig.

Der Weg zum nachhaltige Unternehmen ist ein längerer Prozess, bei dem die großen Hebel im Vordergrund stehen, die schnell eine Veränderung bewirken. Wie bspw. die Senkung des Energie- oder Wasserverbrauchs. Kleine Maßnahmen helfen insbesondere die Sensibilisierung und Motivation nach innen zu stärken. In der Strategie und Kommunikation nach außen sollten aber größere Hebel und Leistungsbeweise im Fokus stehen.